Anklagendes Interaktionsmuster und spezifische Körperübungen

Eine Paarsitzung

Ausgangssituation und Anliegen:

Das Paar kommt nach einer Phase guten Einvernehmens und beklagt fortwährenden Streit.

 

 

Sitzordnung:
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Dialog:

Sie: „Eine ganze Weile ging es uns gut, doch jetzt hat sich wieder etwas sehr Unerfreuliches eingeschlichen: Ständig streiten wir uns.“

Er: „Ja, und das wegen banaler Kleinigkeiten, die eigentlich nicht einmal des Streitens wert sind.“

Berater: „Die Streitereien finden also keinen zufriedenstellenden Abschluss?“

Sie: „Nein, endlos geht es weiter bis beide am Boden sind.“

Er: „Genauso ist es.“

B.: „Was meinen Sie dazu, wenn wir das an einem konkreten Beispiel veranschaulichen würden? Könnten Sie sich dazu gegenübersetzen und so den Dialog führen?“

Beide sind einverstanden.

 

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Sitzhaltung der Partner (häufig in anklagenden Systemen)

Die Partner sitzen leicht vorgebeugt einander gegenüber, die Füsse sind nicht flächig am Boden, stattdessen Zehenstand bei angehobenen Fersen.

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Dialog und Interventionen

Bei anklagenden Dialogen finden sich gehäuft die Adverbien nie und immer.

Sie: „Da war doch das mit deinen nassen Schuhen, die du einfach immer in den Gang stellst. Du denkst nicht an die Wasserlache, die ich dann immer wieder aufputzen muss.“

Er: „Genauso wie bei dir: Überall liegen deine Kleider herum. Keine Ordnung in Küche, Wohn- oder Esszimmer. Dir fehlt der Ordnungssinn – wie immer.“

Sie: „Damit musst du mir gerade kommen! Ich betrete dein Arbeitszimmer schon gar nicht mehr. Zwischen den Stapeln am Boden käme ich nicht einmal mehr mit dem Staubsauger durch.“

Er: „Bei mir wird gearbeitet, das darf man auch sehen.“

Sie: „Demnach arbeite ich nicht, nur du arbeitest.“

Er: „Da ist was Wahres dran.“

Sie: (Wischt sich eine Träne aus den Augen. Ihr Gesichtsausdruck hat sich verändert. Spricht mit gedrückter Stimme.) „Nur du arbeitest. Nur was du machst zählt. Nur du, du!“

B.:  (An den Partner gerichtet) „Sehen Sie, dass Ihre Frau bedrückt ist?“

Er: (Schaut sein Frau verdutzt an, spricht nicht.)

Sie: „Du hast keine Ahnung, was bei uns zu Hause läuft. Alles ist immer da, das Essen auf dem Tisch, die Wäsche in Ordnung, die Putzarbeit, Rasen und Garten. Dann scheint dir meine Nebentätigkeit nicht bewusst zu sein. Und dann noch die Tochter, um die du dich überhaupt nicht kümmerst, und sie ist nicht gerade in einer guten Verfassung.“

B.: (an ihn gerichtet) „Wie wirkt der Gesichtsausdruck Ihrer Frau jetzt auf Sie? Was sehen Sie dort? Sagen Sie ihr, was Sie vermuten.“

Er: (Schaut jetzt seine Frau länger an.) „Bist du traurig?“

Sie: „Enttäuscht bin ich. Du nimmst mich nicht mehr wahr. Wann werde ich von dir geschätzt, wann bist du wieder einmal nett zu mir? Überhaupt, Nähe wünsche ich mir von dir. Als Frau will ich gesehen werden. Wir leben bald wie Bruder und Schwester zusammen.“

Er: „Wenn ich abends nach Hause komme, den Laptop unter dem Arm, sollte ich noch Rechnungen schreiben, Offerten überprüfen, projektieren, und sehe dich dann vor dem Fernseher sitzen. Dann ist es mir nicht ums Kuscheln zumute.“

B.: (Spricht zu beiden.) „Darf ich Ihnen sagen, wie ich Sie bisher erlebt habe?“

(Beide stimmen zu.) „Ich habe viel Energie gespürt, Energie, deren Einsatz nicht zu dem führt, was Sie sich wünschen: Zu Nähe und Wertschätzung.“

Positive Konnotation:

Es wird der unbestritten energetische Wert der Auseinandersetzung hervorgehoben und als wirksame Umdeutung eingesetzt (Grunebaum, H. und Chasin, R.: 1980).

B.: (weiter) „Ich habe aber noch etwas bemerkt. Darf ich Sie auch darauf aufmerksam machen?“ (Auch hier sind wieder beide einverstanden.) „Ich habe mich in Ihre Körperhaltung hineinversetzt und dabei bemerkt, wie sich Spannung bei mir aufgebaut hat. Können Sie Ihre Sitzhaltung verändern indem Sie Ihre Füsse flächig auf den Boden stellen und sich im Stuhl nach hinten lehnen?“

Sie und Er: (Beide verändern ihre Sitzhaltung.)

Intrafamiliäre Übertragungsmuster: Körperübertragungen

Im Gegensatz zum psychoanalytischen Übertragungs- / Gegenübertragungsgeschehen (S. Freud, 1905), verwiesen F.B. Simon und H. Stierlin (1984) auf die intrafamiliäre Übertragung, wobei der Gegenübertragungsdynamik Beachtung geschenkt wurde. Somit ist immer auch der Berater in den Übertragungsprozess miteinbezogen.

Bei der intrafamiliären Körperarbeit treten, wenn es darum geht, die körperlichen Vorgänge dem dialogischen Zugriff zugänglich zu machen, Verspannungen oder z.B. das Abflachen des Atems als Ausdruck von Abwehr auf. „Ein entscheidender Massstab und Orientierungspunkt ist die Reflexion der therapeutischen Aktivität unter dem Aspekt der Übertragungs- / Gegenübertragungs-Dynamik (Maaz, H. J. 2001, 28, f).“

B.: (an beide gerichtet) „Lassen Sie sich etwas Zeit, um zu spüren, was im Körper vor sich geht. Machen Sie dazu einige tiefe Atemzüge in den Bauch.“

Er: (nach einer Weile) „Jetzt merke ich, wie angespannt ich bin. Vor allem spüre ich das in den Beinen. Es lässt etwas nach.“

Sie: „Das stelle ich auch bei mir fest, aber es sind immer auch noch Gefühle von Traurigkeit und Unterlegenheit da. Ich glaube, dass ich wütend bin.“

B.: „Wir könnten mit lockernden Körperübungen für weitere Entspannung sorgen. Mit zusätzlichen Übungen wären Sie dann in der Lage, ihre Kommunikation zu verbessern und die Energie zum Verbessern ihrer Beziehung einzusetzen.“

 

1. Übung: Führen und Geführt-Werden

Bei dieser Übung geht es darum, „Führen und Geführt-Werden“ erlebbar zu machen. Wer hat das Sagen in der Beziehung? Die Partner stellen sich gegenüber. Zunächst werden die Handrücken der rechten Hand aneinander gehalten. Dann wird entschieden, wer die Führung übernehmen soll. Die führende Person macht selbstgewählte Bewegungen, denen die andere Seite folgt, ohne den Kontakt mit den Handrücken aufzugeben. Nach etwa drei Minuten werden die linken Handrücken aneinander gelegt und erneut geübt. Zusätzlich erfolgt ein Rollenwechsel. Die bisher führende Person ist jetzt in der geführten Position.

Danach nehmen die Partner wieder Platz und stellen sich die Frage, in welcher Rolle sie sich wohl und in welcher sie sich weniger wohl fühlten. Sie berichten einander über das Erlebte. Wie geht es mir, wenn ich führe und bestimme, und wie ist es für mich, wenn andere über mich bestimmen?

Beziehungsdialogisches Bewusstsein wird durch die „senso-affekt-motorische Wahrnehmung“ gefördert.

 

2. Übung: Das Spüren von Energie bei Nähe und Distanz

Die Partner stehen bei dieser Übung einander in schulterbreitem Ausfallschritt gegenüber, die Handflächen einander zugewandt, ohne dass sie sich berühren. Die Knie sind nicht durchgedrückt. Damit ist die Voraussetzung geschaffen, dass eine Veränderung von Nähe und Distanz zwischen den Handflächen der Partner zu einer Ganzkörperbewegung wird. Dies ist von entscheidendem Einfluss auf das eigene energetische Feld, sowie das zwischen den Partnern.

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Die Handflächen werden einander soweit angenähert, bis die gegenseitige „Wärmestrahlung“ oder das energetische Feld zwischen den Händen spürbar ist. Dann weichen die Hände soweit zurück, bis diese Empfindung schwindet, um sich erneut anzunähern.

Bei dieser Übung wird das Wahrnehmen des energetischen Feldes, das jede Person umgibt, trainiert. Dabei ist die Dichte der Energie an der Körperoberfläche unterschiedlich. Wärmemessungen haben das bestätigt. Abhängig ist das Energiefeld u.a. von Energieblockaden im Körper, von Spannungen, Verkrampfungen, Schmerzen und Krankheiten.

Wie spüre ich die Nähe anderer? Wann und vor wem weiche ich z.B. auf der Strasse aus? Wie lerne ich, mit diesem energetischen Feld arbeiten?

 

3. Aggressionsübung

Sich anbellen, anfauchen, anbrüllen usw. sind progressive Versuche, Aggression in beziehungsmässiger Aktion erlebbar zu machen.

In gegenseitigem Einverständnis der Partner werden solche oder ähnliche Übungen durchgeführt. Aggression drückt ein Grundgefühl aus, das in unserem Stammhirn lokalisiert ist. Wer gegen Grundgefühle angeht, beeinträchtigt seine Energie. Aggressive Gefühle stehen in unserer Gesellschaft nach wie vor unter Verdikt. In anklagenden Beziehungsverhältnissen trifft man häufig auf eine Aufspaltung: hier die aggressive Person, dort die andere Person, die schuldig spricht wegen unkontrollierten Benehmens und Mangel an Selbstbeherrschung. Selbst dann, so scheint es, ist die anklagende Person gar nicht aggressiv. Doch schon eine wohlerzogene und stets selbstbeherrschte Art kann provozieren.

Die Partner hüpfen bei dieser Übung wie Kängurus aufeinander zu. Synchron stossen sie bei jedem Hüpfen einen aggressiven Laut aus. Sie blicken sich in die Augen und der Ton – gleich einem Geschoss – trifft auf das Gesicht des Gegenüber. Eine Regel gilt es zu beachten: Da jeder der Partner sein individuelles energetisches Feld hat, das respektiert sein will, erfolgt die aggressive Annäherung nur soweit, als das den Partnern entspricht. Ihnen steht frei, über die Nähe des eigenen energetischen Raumes zu entscheiden. Eine Bedrohung des persönlichen und damit intimen Raumes ist zu vermeiden. Ein invasives Eingreifen durch Berater oder Therapeuten sollte eine Reflexion über die Gegenübertragungsimpulse nach sich ziehen.

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Bei Partnern, aber auch bei Gruppenübungen, kommt es regelmässig zu Erleichterung, meist lachen sich die Akteure dann an, wenn sie sehr nah aufeinandertreffen. Aggressive Gefühle –werden sie dem Erleben zugänglich gemacht – lassen Wärme, Energie und Leben bis in die Extremitäten spüren. Aggressive Übungen schaffen spürbare Nähe.

Zu einer Neubewertung von Aggressionen können folgende Fragen beitragen.

  • Sind aggressive Gefühle nicht auch toll?
  • Erinnern Sie sich an Aggressionsspiele, die Ihnen in Kindertagen Spass gemacht haben?
  • Wo im Körper spüre ich Aggressionen am besten?
  • Wie lange dauern sie an?

 

4. Übung: Nicht nur eine Wohltat für die Füsse

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Die Partnerin beklagte eingangs im Dialog mangelnde, intime Nähe. Bei dieser Übung, die sich zunächst als eine Atemmassage präsentieren mag, geht es darum, dass die kniende  Person im Atemrhythmus Druck auf die Fussriste der sitzenden Person ausübt. Beim Einatmen liegen die Handflächen locker auf den Risten, beim Ausatmen wird Druck ausgeübt. Wenn die kniende Person die Druckmassage im eigenen Atemrhythmus vollzieht, besteht die Möglichkeit für die sitzende Person diesen Rhythmus zu übernehmen. Umgekehrt, orientiert sich die kniende Person am Atemrhythmus der Sitzenden, ist in einer ersten Phase die Atembeobachtung notwendig.

Technische Hinweise für Beratende/Therapierende Personen:

Der Berater/Therapeute als Coach ist nicht derjenige der berührt, er leitet an. Obige Berührungsübung ist dazu geeignet, Halt, Sicherheit, Geborgenheit und intime Nähe zu vermitteln. Eine innere, vorbereitende Einstellung der Übenden und der beratenden Person hat nachhaltigen Einfluss auf die Qualität der Berührung selbst. Zudem fördern solche Interventionen das Erinnern an frühe Deprivationen. Frühe senso-affektmotorische Körpererinnerungen werden interaktionell reaktiviert und können in ihrer Wiederbelebung an frühe Interaktionsmuster erinnern (Maaz, 2001, 31f).

Bei der Ausführung dieser Übung gilt es darauf zu achten,  dass ein zeitlicher  Rahmen gesetzt wird. Es wird die Berührung angekündigt und auf deren Ende hingewiesen. Der Coach begleitet die atemmassierende Person durch entsprechend weisende Berührungen z.B. an der Schulter: Bei Druck aus-, bei Zurücknahme des Druckes einatmen, ohne dass der Berührungskontakt aufgegeben wird. Werden die Hände von den Risten der massierten Person abgehoben, geschieht das einmal bei der einatmenden Bewegung und so, dass die Körperdistanz in Zentimeterabständen vergrössert wird, was zu einer längerfristigen Berührungserinnerung führt.

 

Hausaufgabe: Den Partnern wird nahe gelegt, die Übungen regelmässig zu Hause zu pflegen.

 

Lit.:

Grunebaum, H. und Chasin, R.: 1980 Kritisches zu Umdeutungen oder: die Vorteile eines pathologischen Begriffssystems. Familiendynamik, 5, S.106 -117

Maaz. H.J.: 2/2001 Integration des Körpers in eine analytische Psychotherapie. In:  Geissler, P. Hg. Psychoanalyse und Körper. Psychosozial-Verlag, Giessen, 21 – 35

 

Dr. Peter Dold, Januar 2016