Konfrontation der Partner
Gesicht zu Gesicht sitzen sich die Partner in selbstgewählter Distanz gegenüber, was augenblicklich eine Veränderung des energetischen Feldes bedeutet. Beide konfrontieren sich mit den Gründen, die sie dazu bewogen hatten, Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Bisherige Übertragungsmuster werden so erneut als Replay inszeniert. Wiederum treten bekannte Abläufe auf und werden dem Therapeuten vor Augen geführt. Auf den ersten Blick ergibt sich für den Therapeuten eine Erleichterung. Er ist der oft frei flottierenden Vater- und Mutterübertragungen enthoben, was ihn dazu befähigt, das Interaktionsgeschehen zu beobachten und darauf Einfluss zu nehmen. Dabei können die Wege t entdeckt werden, die die Partner allein nicht finden konnten.
Die Interaktion bezieht mehrere Dimensionen ein:
- die verbal-kommunikative,
- das energetische Feld zwischen den Partnern (kann auch als Resonanz (Verhaltenstherapie) oder Übertragung gesehen werden, letzteres entspricht der psychoanalytischen Auffassung),
- die räumliche Position der Partner (die Nähe oder Distanz zueinander),
- die Muster und Regeln, die im Laufe des partnerschaftlichen Zusammenlebens entstanden oder als aus den Herkunftsfamilien übernommen und fortgesetzt und
- das koinzidierende Geschehen des körperlichen Ausdrucks.
Das Reframing (die Umdeutung) ist nun ein Versuch, die dargestellte Problematik aus einem anderen Blickwinkel heraus zu sehen und darzustellen. In unserer Situation wird ein räumliches Reframing zur Anwendung gebracht, da das konfrontative und selbstbeschuldigende Interaktionsmuster sterilen und starren Charakter angenommen hatte. Auf ein Bedeutungsreframing, wobei der Inhalt der Interaktion umgedeutet hätte werden können, wird verzichtet. Dies hätte etwas so lauten können: „Weil Sie den emotionalen Zugang zu ihrem Vater nicht fanden, werfen Sie Ihrem Partner vor, keinen Beitrag an die Beziehung zu leisten. An seine Adresse gerichtet würde die Formulierung etwa so lauten: „Im Versuch, Ihrer Mutter Liebe zu gewinnen sehen Sie sich von Ihrer Frau ähnlich enttäuscht und ziehen sich zurück.“ Dies entspräche einer raschen Mobilisierung von Emotionen, was mit einem räumlichen Verändern in mehreren Schritten erfolgen kann, ohne Turbulenzen zu schaffen.
Gammer (1993, 116) empfiehlt den Schwerpunkt der Interventionen auf das dyfunktionale Verhalten zu richten und weniger auf die Herkunftsfamilie. Bei unserem Paar darf von einer Fortsetzung der Herkunftsfamilienmuster ausgegangen werden. Insofern findet sich ein identisches Muster, das die aufrechterhaltenden Symptome präsentiert.
Dem Betrachter würden sich aus der körperlichen Interaktion heraus ebenfalls Möglichkeiten eines Reframings anbieten. So führt die Partnerin beim Äusseren ihrer Statements eine Kopfbewegung aus, die mit dem Atlas, dem obersten und dem siebten Halswirbel erfolgt. Gesprochenes Wort und Kopfbewegung sind eine inhaltliche Einheit. Würde man die Partnerin darauf aufmerksam machen, wie sie ihre Mitteilung durch eine ihr nicht bewusste vorwärts gerichtete Kopfbewegung unterstreicht, wäre eine bewusstmachende Trennung dieser Einheit möglich. So würde der „Nachdruck“ entfallen, mit dem sie ihre Äusserungen unterstreicht. Der Partner, der ohnehin in einer Demutshaltung sich zu rechtfertigen versuchte, würde diese Veränderung wahrnehmen.
Ein weiteres Denkmuster hatte sich bei den Partnern eingeschlichen: die stark pathologisierende Vorstellung von Depression. Hier wird, ebenfalls im Sinne einer Umdeutung, auf ganz spezielle Charakterqualitäten bei depressiv strukturierten Menschen hingewiesen, was zu einer sichtbaren Veränderung der Sitzhaltung beim Partner führt. Das so sichtbare, interaktionelle Erscheinungsbild der Partner erweckt jetzt den Eindruck von einer Kommunikation auf gleicher Augenhöhe.
Aufbauende, verbal-wertschätzende Unterstützung kommt auch im Körper an und wirkt sich nachhaltig verändernd auf das persönliche, wie das interaktionelle Erscheinungsbild aus.
a) Räumliche Veränderung in der Kommunikation: Partner – Partnerin
Die Partnerin wird nun gebeten, sich in einem Neunziggradwinkel vom Setting wegzudrehen, zusätzlich einen Schritt nach vorne zu tun.
Dem Partner, der jetzt auf sein Muster zu sprechen kommt, fehlt so die „Projektionswand“. Er ist auf sich selbst zurückgeworfen, die sterile Interaktion ist unterbrochen, denn an der Partnerin gehen die Botschaften wie „hinten“ vorbei. Die sonst als negativ empfundene Energie läuft ins Leere.
a) Räumliche Veränderung in der Kommunikation: Partnerin – Partner
Der gleiche Vorgang spielt sich auch dann ab, wenn der Partner zu Seite tritt und keine Projektionsfläche anbietet. Die Vaterübertagungen treffen beim Partner so nicht mehr auf. Die Folge: er kann auf bisherige Abwehrformen und Ausweichmanöver verzichten und steht nicht mehr unter Druck.
Wird das Gerichtet-Sein des Körpers im Raum verändert, hat dies eine grundlegend verändernde Wirkung auf die interaktionellen Abläufe. Die Sender-Adressaten-Struktur ist verschoben, was einen Wandel in den emotionalen Abläufen nach sich zieht.
Veränderungen im Raum bewirken Veränderungen in den energetischen Feldern und beeinflussen das emotionale Empfinden und damit die Interaktion.
a) Dem „roten Faden“ folgen: Impulsbewegungen
Die körperliche Ebene, das körperliche Empfinden textet mit, nicht unabhängig von den bewusst nachvollziehbaren äusseren Ereignissen und verbalen Mitteilungen. So sind bestätigende, korrigierende oder koinzidierende Körpersignale Hinweise für den weiteren Verlauf einer Beratung oder Behandlung. Kann der Körper als locker empfunden werden, bei gleichzeitigem Wippen der Beine, das erklärterweise dem Lockern dient? Wird dieses Wippen als ergänzende, persönliche Information gesehen, dann haben wir ein individuelles Korrektiv. Ist das Wippen gleichzeitig von Signalwert und verweist es auf systemische Spannungsübertragungen, dann kann es weiter verfolgt werden bis zu dysfunktionalen Mustern im Alltag, wiederum Anlass, auch mit bewegenden, paradoxen Techniken weiter zu arbeiten. Im interaktionellen Kontext dient Wippen beim Partner stetiger Entspannung, während das durch die Partnerin übernommene Wippen Unruhe auslöst, verbunden mit dem Gefühl davonlaufen zu müssen.
Therapeutische Situation
Alltagssituation: Beide sitzen vor dem Fernseher.
Die dargestellten Vorgänge zeigen auf, wie es neben den aus der Psychoanalyse bekannten emotionalen Übertragungs- und Gegenübertragungsmustern zwischen Analysanden und Analytikern (Freud, 1912, 365 – 374), auch das intrafamiliäre Übertragungsmuster (Simon und Stierlin, 1984, 368f) gibt. Den Phänomenen körperliche Übertragung, verkörperte Übertragung (May, 2007, 873), körperliche Gegenübertragung (Trautmann – Voigt 2007, 889) und interaktionelle Übertragung (Geissler, 2007, 604) begegnen wir in den Körperpsychotherapeutischen Schulen und in der systemischen Forschung.