Thymographie – ein Gefühlsbild

Bei der Thymographie (ursprünglich altgriechisch für Lebenskraft) handelt es sich um das Sichtbarmachen von alten und ursprünglichen Gefühlen, die verbal nur bedingt, wenn überhaupt, ausgedrückt werden können. Bedrohliche Gefühle sind eine ausgesprochen schwierige Sache. Als heftiger meist unberechenbarer Ausdruck von Angst, Wut, Trauer, Ohnmacht, Ekel (Ausnahme Freude) werden sie gemieden. Gedanklich tauchen sie zwar immer wieder auf, aber sie soll(t)en nicht sein. Der Wunsch des Klienten «ich will diese Angst weg haben», «die Trauer darf nicht sein» erhält im symbolischen oder konkreten gezeichneten Ausdruck eine Form, die das bedrohliche Gefühl nicht als Quantité négligeable zeigt, sondern (auch) als Schutz und Ressource. Das Diffuse unausgesprochener und vermiedener Gefühle erhält Farbe und Form und wird klarer und fassbarer. Es liegt vor einem und nicht mehr als Strudel in einem. Es kann benannt werden.
Zur Videoaufzeichnung: Manchmal kommt es vor, dass der Klient betont, er könne nicht zeichnen. Um diese Selbsteinschätzung zu relativieren, schlage ich eine Verfremdung vor: mit geschlossenen Augen bzw. mit der Gegenhand zu arbeiten. Damit entfällt die sichtbare Kontrolle. Die Klientin machte davon nicht Gebrauch.

Es gibt viele Möglichkeiten mit dem entstanden Bild zu arbeiten (Raumaufteilung, Strichstärke, Farbwahl usw.). Die Dynamik bzw. Form der Darstellung liess ich durch Körperbewegung erfahrbar und benennbar machen: rigide, eingeschlossen, spielerisch. Die unterschiedliche Blickrichtung kann neue Erkenntnis bringen. «Der Himmel wird zum Meer. Ich versinke. Anstrengend. Schwer.»

Das Abdecken (hier mittels Schablone) bestimmter Bildbereiche fokussiert und zeigt Entwicklung. Das Bedrohliche ist zwar vorhanden, hat aber seine unheimliche Kraft verloren.

In der systemischen Paar- und Familienberatung können mittels Thymographie unausgesprochene Gefühle einander «begreiflich» gemacht werden und vermitteln so eine neue Sicht des und dem Gegenüber.